Benjamin Lahusen

07.05.14
D Die Verwaltung von Normalität

Deutsches Recht und deutsche Gesellschaft 1944–1952

Am 14. Juli 1941 ging Maria Zimmermann, eine junge Frau von 37 Jahren, das Risiko ein, das Deutsche Reich zu betrügen. Kurz davor waren weite Teile ihrer Heimatstadt Aachen von britischen Bombern verwüstet worden. Frau Zimmermann selbst hatte durch Zufall keine Verluste erlitten. Trotzdem beklagte sie sich bei den deutschen Behörden über Plünderungen in ihrem Haus; angeblich wären ein blauer Mantel, ein Paar gute Schuhe und eine Geldbörse abhanden gekommen, insgesamt ein Verlust von 200 Reichsmark. Nichts davon traf zu. Aber im Chaos, das gewöhnlich auf einen Luftangriff folgte, so Frau Zimmermanns Kalkül, musste sich die Verwaltung ganz auf ihre Angaben verlassen. Und damit lag sie richtig. Ohne zu zögern, stellte der deutsche Staat eine bemerkenswerte Grosszügigkeit unter Beweis: Frau Zimmermann wurde für ihren vermeintlichen Verlust voll entschädigt und kehrte mit einer Vorschusszahlung von 150,– RM nach Hause zurück. Im Triumph brüstete sie sich ihres Erfolges vor den Nachbarn. Das war, wenig überraschend, ein Fehler. Ihre Tat wurde denunziert, und nachdem sie über Monate hartnäckig geleugnet hatte, gestand sie schliesssslich. Im September 1942 erhob der Staatsanwalt Anklage gegen sie – nicht vor dem ordentlichen Strafgericht, sondern vor dem Aachener Sondergericht, das institutionell gewährleistete, seine Fälle in Übereinstimmung mit den politischen Erfordernissen des ‚Dritten Reiches’ zu behandeln.

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E The Administration of Normality

German Law and German Society 1944–1952

On 14 July 1941, Maria Zimmermann, a young woman of 37 years, dared to defraud the German Reich. In one of the previous nights, British bombers had destroyed large parts of her hometown, Aachen. Luckily, Frau Zimmermann had not suffered any loss. Nevertheless, she complained to the German authorities that her house had been looted: A blue coat was missing, as well as a pair of elegant shoes and a purse, amounting to a total loss of about 200 Reichsmark. None of this was true. However, Frau Zimmermann rightly assumed that in the chaos following the air raid nobody would check too carefully. And she was right. Without hesitation, the German state responded and showed remarkable generosity: Frau Zimmermann was fully compensated for the alleged damage she had suffered and returned home with an advance payment of 150 Reichsmark. Triumphantly, she boasted to her neighbours about her success. That was, not surprisingly, a mistake. She was denounced to the authorities and, after insisting for months that she was innocent, eventually confessed. In September 1942, the prosecutor brought charges against her – not before the ordinary criminal court, but before the “Special Court” in Aachen that institutionally guaranteed to treat its cases in accordance with the political requirements of the Third Reich.

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Die Verwaltung von Normalität

Deutsches Recht und deutsche Gesellschaft 1944–1952

Am 14. Juli 1941 ging Maria Zimmermann, eine junge Frau von 37 Jahren, das Risiko ein, das Deutsche Reich zu betrügen. Kurz davor waren weite Teile ihrer Heimatstadt Aachen von britischen Bombern verwüstet worden. Frau Zimmermann selbst hatte durch Zufall keine Verluste erlitten. Trotzdem beklagte sie sich bei den deutschen Behörden über Plünderungen in ihrem Haus; angeblich wären ein blauer Mantel, ein Paar gute Schuhe und eine Geldbörse abhanden gekommen, insgesamt ein Verlust von 200 Reichsmark. Nichts davon traf zu. Aber im Chaos, das gewöhnlich auf einen Luftangriff folgte, so Frau Zimmermanns Kalkül, musste sich die Verwaltung ganz auf ihre Angaben verlassen. Und damit lag sie richtig. Ohne zu zögern, stellte der deutsche Staat eine bemerkenswerte Grosszügigkeit unter Beweis: Frau Zimmermann wurde für ihren vermeintlichen Verlust voll entschädigt und kehrte mit einer Vorschusszahlung von 150,– RM nach Hause zurück. Im Triumph brüstete sie sich ihres Erfolges vor den Nachbarn. Das war, wenig überraschend, ein Fehler. Ihre Tat wurde denunziert, und nachdem sie über Monate hartnäckig geleugnet hatte, gestand sie schliesssslich. Im September 1942 erhob der Staatsanwalt Anklage gegen sie – nicht vor dem ordentlichen Strafgericht, sondern vor dem Aachener Sondergericht, das institutionell gewährleistete, seine Fälle in Übereinstimmung mit den politischen Erfordernissen des ‚Dritten Reiches’ zu behandeln.

E
The Administration of Normality

German Law and German Society 1944–1952

On 14 July 1941, Maria Zimmermann, a young woman of 37 years, dared to defraud the German Reich. In one of the previous nights, British bombers had destroyed large parts of her hometown, Aachen. Luckily, Frau Zimmermann had not suffered any loss. Nevertheless, she complained to the German authorities that her house had been looted: A blue coat was missing, as well as a pair of elegant shoes and a purse, amounting to a total loss of about 200 Reichsmark. None of this was true. However, Frau Zimmermann rightly assumed that in the chaos following the air raid nobody would check too carefully. And she was right. Without hesitation, the German state responded and showed remarkable generosity: Frau Zimmermann was fully compensated for the alleged damage she had suffered and returned home with an advance payment of 150 Reichsmark. Triumphantly, she boasted to her neighbours about her success. That was, not surprisingly, a mistake. She was denounced to the authorities and, after insisting for months that she was innocent, eventually confessed. In September 1942, the prosecutor brought charges against her – not before the ordinary criminal court, but before the “Special Court” in Aachen that institutionally guaranteed to treat its cases in accordance with the political requirements of the Third Reich.

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